Nationalspieler werden Anfang des Jahres geboren
Administration und Physik machen es Talenten, die in der zweiten Hälfte des Jahres geboren werden schwer, Profis zu werden! Die Nationalmannschaften werden von Spielern aus dem ersten Quartal dominiert.
24. Januar 2018
Wenn dein Sohn oder deine Tochter von einer glorreichen Fußballkarriere träumt, gleichzeitig aber Ende des Jahres geboren ist, könnte es sein, dass er oder sie sich von diesem Traum verabschieden kann. Schon seit vielen Jahren lässt sich deutlich erkennen, dass die meisten Jugend-Nationalspieler im ersten Quartal des Jahres geboren sind.
2015 schrieb die Zeit Online, dass 44,8 % aller männlichen Fußballspieler in den Jugendnationalmannschaften im ersten Quartal des Jahres Geburtstag haben, wohingegen nur 7,2 % im zweiten geboren sind. Wenn man die aktuellen männlichen U15, U16, U17, U18 und U19 Junioren durchgeht, sieht es auch hier kaum anders aus. Unsere Auswertung zeigt, dass 49 % aller Spieler dieser Mannschaften im ersten Quartal geboren sind. 25 % sind es im zweiten Quartal und die letzten beiden Quartale liegen bei 12 % und 13 %.
Der relative Alterseffekt
Beim DFB kennt man das Problem schon länger. Aber in den Griff bekommen wurde es bisher nicht. Jetzt könnten sich einige wundern, wieso überhaupt so viele der Fußballjunioren im ersten Quartal geboren sind und wieso das denn ein Problem ist. Dafür erklären wir euch zunächst den relativen Alterseffekt.
Der Grund dafür kann in der Struktur gefunden werden, wie Jugendmannschaften eingeteilt sind. Jugendmannschaften werden nach Jahrgängen sortiert. Das heißt, dass z.B. ein Kind das am 17. Dezember 2001 geboren wurde in der gleichen Mannschaft spielt, wie ein Kind das am 3. Januar 2001 geboren wurde, obwohl es fast ein ganzes Jahr älter ist. Da die Physik der Spieler in den Jugendmannschaften mindestens genau so wichtig (vielleicht sogar wichtiger) ist, als Technik und Ballgefühl, hat das Januar-Kind dem Dezember-Kind einen entwicklungstechnischen Vorteil voraus.
Große Talente können übersehen werden
Dieser Effekt nennt sich RAE (Relativer Alterseffekt) und ist nicht nur in Deutschland ein Problem. Auch in anderen Ländern und Sportarten ist der RAE ein Problem, denn viele Jugendmannschaften sind nach Jahrgängen eingeteilt. Je jünger die Spieler sind, umso größeren Einfluss hat der Begriff.
Aktuell ist im Kader der Deutschen U15 für den Lehrgang in Bitburg (04. bis 07. März 2018) gerade einmal einer von 23 Spielern im letzten Quartal des Jahres geboren. Da diese Spieler es prinzipiell schwerer haben, in die Nationalmannschaften zu kommen und dementsprechend weniger gefördert werden, gehen unseren Nationalmannschaften möglicherweise Spieler verloren, die sehr talentiert sind, allerdings im falschen Jahrgang spielen.
"Das Auftreten eines RAE ist in dieser Altersklasse wahrscheinlich eine Auswirkung der begünstigten Förderung früh geborener und körperlich stärker entwickelter Spieler in den Jahren zuvor", erzählt Sportwissenschaftler Matthias Lochmann bei Zeit Online. "Er ist auch international sehr weit verbreitet, Ausnahmen sind mir nicht bekannt". Der RAE tritt laut Zeit Online verstärkt auf, wenn Kinder- und Jugendtrainer zu sehr auf Sieg setzen. Mit Januar-Kindern kann man in jungen Jahren eher gewinnen. Prämisse der Jugendarbeit sollte aber sein, Höchstleistung im Höchstleistungsalter zu fördern.
Der Kampf gegen den relativen Alterseffekt
2015 wurde vom DFB ein Artikel über das Treffen der Stützpunktkoordinatoren veröffentlicht, in dem es hieß, dass das Problem des relativen Alterseffekts schon lange bekannt sei.
Ulf Schott, DFB-Direktor, erklärt: "Unser Anspruch ist es, jedem Talent in Deutschland die Chance zu geben, gesichtet und gefördert zu werden. Unabhängig von Wohnort und Geburtsdatum. Wir haben von den Strukturen her ein ganzheitliches System, mit dem wir dem RAE entgegenwirken können."
Wie dieses System aussehen sollte, wurde in diesem Artikel nicht weiter beschrieben. Nichts desto trotz ist die Problematik bekannt. Laut jetzt.de wurden 2016 bereits Maßnahmen in die Wege geleitet, um etwas gegen den relativen Alterseffekt zu unternehmen.
Mehr auf Talent achten
Schott erklärt auf jetzt.de, dass die vielen regionalen Ausbildungszentren jungen Spielern helfen würden, die es nicht sofort in Nationalteams schaffen. Langfristig plane der DFB seine Trainer besser auszubilden. Anstelle auf körperliche Stärke, sollen diese mehr auf das Talent achten.
Wenn man sich die aktuellen Statistiken der Jugendmannschaften ansieht, scheint diese Taktik bis Dato noch nicht ganz so zu funktionieren, wie der DFB es vermutlich gerne hätte. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass sie Ende 2017 die Athletik-Trainer der Leitungszentren zu einer Weiterbildung eingeladen haben, um sie u. a. zu diesem Thema zu schulen.
"Vielleicht ist man einfach noch zu jung"
Selbst wenn es noch keine allumfassende Strategie gibt, den relativen Alterseffekt endgültig zu besiegen, scheinen einzelne Vereine aktiv mit dem Problem umzugehen. Laut Zeit Online geht beispielsweise Hoffenheim offensiv mit dem Thema REA um: "Dort setzt man nicht zu früh auf Siege, Eltern und Kinder werden darüber informiert. Wissen hilft. Auch darüber, dass es nicht am Talent liegen muss, wenn man kein Tor schießt. Vielleicht ist man einfach noch zu jung." In Hoffenheim und St. Pauli spielen die Kinder außerdem Drei-gegen-Drei Turniere, anstelle von normalen Wettbewerben, um die kleineren oder schwächeren Spieler besser zu fördern.
Beim FC Bayern versucht man laut FC Bayern München Blog dem RAE entgegenzuwirken, indem man ganz bewusst Spieler im Team behält, die zwar körperlich noch nicht so weit entwickelt sind, aber dafür taktisch glänzen. Das Musterbeispiel hierfür ist Philipp Lahm, der im November Geburtstag feiert.
Biologisches Alter berücksichtigen
In anderen Ländern ist man bereits aktiv gegen den REA vorgegangen. In Belgien wurden laut der Zeit "rollierende Stichtage" eingesetzt - so dass man Mal zu den Älteren, Mal zu den Jüngeren gehört. In der Schweiz werden die Talente laut FC Bayern München Blog erst später ausgewählt. Vor der U15 werden somit alle gleich gefördert, im Gegensatz zum DFB, wo bereits in der U9 und U11 Talente empfohlen werden können. Außerdem wird in der Schweiz das biologische Alter berücksichtigt, so dass beispielsweise ein Spieler, der kurz vor einem Wachstumsschub steht, besonders gefördert werden kann.
Neue Ansätze müssen her
Auch auf jetzt.de kann man mehrere Lösungsansätze finden. Amerikanische Pädagogen schlagen als Maßnahmen gegen den relativen Alterseffekt vor, Kinder nach Jahreszeiten zu sortieren, anstatt nach Jahrgängen. Im Kampfsport wird beispielsweise nach Gewichtsklassen sortiert, auch hier wurde bis heute kein RAE festgestellt. Dieses Konzept könnte auch für den Fußball oder andere Sportarten übernommen werden, so dass man Spieler z.B. nach Größe, Gewicht oder Ausdauer sortiert.
Abschließend lässt sich sagen, dass der relative Alterseffekt ein schwer zu lösendes Problem ist und uns durch ihn echte Talente für unsere Nationalmannschaft durch die Finger gehen. Wir hoffen sehr, das viele engagierte Menschen weiter am Ball bleiben und das Problem lösen!
TIPP: Schau dir auch die Funktionen zur Teamaufstellung in unserer App an!